Economics
HS1 entgleist wirtschaftlich – Regierungsgutachten bescheinigt Hochgeschwindigkeitsstrecke schlechte Investitionsrendite
Ein zurückgehaltenes Regierungs-Gutachten zeigt: HS1 brachte weniger Wachstum als versprochen und enttäuschte wirtschaftlich.

Großbritanniens erste Hochgeschwindigkeitsstrecke HS1 hat laut einem regierungsbeauftragten Gutachten „schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis“ geliefert – 16 Jahre nach Betriebsstart und zwei Jahre, nachdem der Bericht fertiggestellt, aber nicht veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung fällt in eine Phase zunehmender Kritik an HS2, dem teureren Nachfolgeprojekt zwischen London und Birmingham, das derzeit mit Kostenexplosionen und Zeitverzug kämpft.
Die von Steer Consulting erstellte Untersuchung, benannt nach dem Hochgeschwindigkeitsbahn-Verfechter Jim Steer, kommt zu dem Ergebnis, dass zentrale ökonomische Erwartungen an HS1 nicht erfüllt wurden. Zwar verzeichneten Orte wie Ashford und Canterbury ein Bevölkerungswachstum, das sei aber vor allem auf gestiegene London-Pendlerzahlen zurückzuführen. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung in der Region – etwa gemessen an der GVA (Gross Value Added) pro Kopf – blieb im Vergleich zu Regionen ohne HS1-Anschluss aus.
Die Strecke zwischen London St Pancras und dem Eurotunnel nach Kent ging 2007 in Betrieb. Sie kostete rund 7,3 Milliarden Pfund, der Baubeschluss fiel bereits 1991. 2010 wurde sie an ein Konsortium verkauft, das heute unter dem Namen London St Pancras Highspeed operiert. Eigentümer sind unter anderem HICL Infrastructure und Equitix.
Inzwischen versucht der Betreiber, mit einem „ambitionierten Wachstumsanreizprogramm“ die internationale Nachfrage zu beleben. Eigene Analysen zeigen, dass das Passagieraufkommen zwischen London und dem europäischen Festland von derzeit 1.800 auf 5.000 Personen pro Stunde gesteigert werden könnte. Finanzielle Anreize sollen neue Destinationen und mehr Fahrten anregen.
Die Regierung hält dagegen, dass HS1 die Kapazität für internationale Bahnverbindungen mehr als verdoppelt habe. Das Verkehrsministerium verwies außerdem auf methodische Einschränkungen der Studie, die etwa Auswirkungen auf Londoner Stadtteile oder langfristige Konjunktureffekte nicht berücksichtige.
Unterdessen gerät das Prestigeprojekt HS2 zunehmend in die Defensive: Baukosten haben sich auf über 80 Milliarden Pfund vervielfacht. Die ursprünglich geplante Anbindung an den Londoner Bahnhof Euston ist weiter ungeklärt, obwohl die Bauarbeiten dort bereits seit fast zehn Jahren laufen. Verkehrsministerin Heidi Alexander räumte kürzlich ein, dass sich die Inbetriebnahme deutlich verzögern werde – womöglich bis in die späten 2030er-Jahre. Zugleich wird über eine Reduzierung der vorgesehenen Höchstgeschwindigkeit diskutiert, um weitere Verzögerungen zu vermeiden.
Kritiker wie Andrew Gilligan vom Think-Tank Policy Exchange sehen sich bestätigt: HS1 habe die hochgesteckten wirtschaftlichen Erwartungen nicht erfüllt. Gleichzeitig betonte er, dass es noch immer ein „deutlich besseres Projekt als HS2“ sei – mit rund zwei Dritteln geringeren Kosten pro Meile in inflationsbereinigten Zahlen. Laut Regierungsstatistik beliefen sich die Ausgaben für HS2 im Jahr 2024 auf 7,7 Milliarden Pfund – rund 57 Prozent mehr als für den gesamten regionalen ÖPNV im gleichen Zeitraum.