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EU plant neue Investitionsunion – droht ein schleichender Umbau der sozialen Sicherung?

Europas Umbruch soll durch private Ersparnisse finanziert werden – mit potenziell weitreichenden Folgen für das Sozialsystem.

Eulerpool News 3. Juli 2025, 12:12

Die Europäische Kommission will den Umbau der Wirtschaft durch eine sogenannte Savings and Investment Union (SIU) finanzieren. Ziel: bis 2030 jährlich zusätzlich bis zu 800 Mrd. Euro zu mobilisieren. Doch der Plan hat eine Schattenseite – er könnte langfristig zu einer faktischen Privatisierung der Altersvorsorge führen.

Im Zentrum der Strategie steht die Vorstellung, europäische Sparer sollten sich stärker am Kapitalmarkt engagieren. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde würden rund 8 Bio. Euro in europäischen Bankeinlagen „brachliegen“. Würden diese Gelder in Kapitalmarktprodukte umgeleitet, könnten Investitionen in Dekarbonisierung, Innovation und Sicherheit auf marktwirtschaftlichem Wege finanziert werden.

Doch die Annahme, europäische Banken könnten auf einen Schlag die Hälfte ihrer stabilen Einlagenbasis verlieren, ist wirtschaftlich kaum haltbar. Eurozonen-Bankeinlagen beliefen sich 2024 auf rund 15 Bio. Euro. Anders als in den USA halten europäische Haushalte ein Drittel ihres Vermögens in Einlagen – dort sind es nur zehn Prozent. Der Grund: Europa hat seine Rentensysteme nie in dem Maße privatisiert wie die Vereinigten Staaten.

Pensionen bleiben in Europa überwiegend umlagefinanziert. Während in den USA Pensionsvermögen inzwischen 130 % des BIP ausmachen, liegen die meisten EU-Staaten – mit Ausnahme von Dänemark und den Niederlanden – weit darunter. In Deutschland, Frankreich oder Spanien sind es teils weniger als 20 %. Würde Europa dem US-Modell folgen, müsste dieser Anteil drastisch steigen – auf Kosten staatlicher Vorsorgesysteme.

Befürworter der SIU argumentieren mit besseren Renditechancen für private Anleger. Doch Kritiker sehen darin vor allem den Versuch, politische Entscheidungen hinter technokratischer Rhetorik zu verstecken. Denn die Ausrichtung auf kapitalgedeckte Systeme bedeutet letztlich auch, dass Renten künftig stärker von der Performance der Finanzmärkte abhängig wären.

Hinzu kommt: Ein Investitionsengpass existiert nicht zwingend. Laut Morgan Stanley liegt global rund 4,5 Bio. Dollar an sogenanntem „dry powder“ – ungenutztem Kapital – brach. Inklusive Fremdfinanzierung sind es sogar 9 Bio. Dollar. Das Problem liegt weniger in fehlendem Kapital, sondern in einem Mangel an Projekten, die den Renditeerwartungen institutioneller Investoren gerecht werden.

Ein aktuelles Papier der Deutschen Börse bringt es auf den Punkt: Staatliche Rentensysteme sollten „weniger umlagefinanziert und stärker kapitalorientiert“ ausgestaltet werden. Andernfalls drohe ein „düsteres Szenario“, in dem die EU bis 2040 fast 13 % des BIP für staatliche Renten aufwenden müsse.

Was als Lösung für Europas Finanzierungsprobleme präsentiert wird, könnte sich langfristig als fundamentaler Umbau der sozialen Ordnung erweisen – hin zu einem Modell, in dem soziale Infrastruktur zunehmend zur Anlageklasse wird. Ein solcher Kurswechsel verdient demokratische Debatte, keine technokratische Verpackung.

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