Technology
EU setzt verstärkt auf digitale Souveränität, um Abhängigkeit von US-Techkonzernen zu verringern
Europa will sich durch Investitionen in Cloud und KI unabhängiger von US-Konzernen und geopolitischen Risiken machen.

Die wachsende Abhängigkeit Europas von US-Technologiekonzernen für digitale Infrastruktur sorgt zunehmend für Unruhe bei politischen Entscheidern und Unternehmensführern. Benjamin Revcolevschi, CEO des französischen Cloud-Anbieters OVHcloud, erlebt das derzeit hautnah: „Wir sprechen jede Woche mit Digitalministern in Europa über Souveränität.“ Anlass sei die Sorge über die weitreichende Dominanz amerikanischer Anbieter.
Amazon, Microsoft und Google kontrollieren mehr als zwei Drittel des europäischen Cloud-Marktes. Hinzu kommt die Marktmacht US-amerikanischer Unternehmen bei Betriebssystemen, Suchmaschinen, KI-Anwendungen und sozialen Netzwerken. Die Abhängigkeit von amerikanischer Infrastruktur wird von Brüssel zunehmend als geopolitisches Risiko wahrgenommen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der frühere US-Präsident Donald Trump offen mit Handelsbeschränkungen und Sanktionen droht. Die Sorge geht so weit, dass europäische Institutionen befürchten, Washington könne Zugriff auf in Europa gespeicherte Daten verlangen, gestützt auf den US Cloud Act.
Henna Virkkunen, neue EU-Kommissarin für Technologie mit dem Zusatz „Tech Souveränität“, will Europas Eigenständigkeit in Bereichen wie Quantum Computing, KI und Halbleitern stärken. Die Abhängigkeit von US-Konzernen sei „ein handfestes Risiko“, so Virkkunen. Parallel kündigte die EU-Kommission ein Gesetz an, das europäische Kapazitäten bei Cloud und KI-Infrastruktur ausbauen soll.
Doch Europas Handlungsoptionen sind begrenzt. Nur wenige der weltweit führenden Tech-Unternehmen stammen aus der EU. Eigenständige Start-ups kämpfen mit einem fragmentierten Binnenmarkt, regulatorischen Unsicherheiten und fehlendem Zugang zu Risikokapital. „Man kann nicht europäisch einkaufen, wenn es keine europäischen Produkte gibt“, warnt Dariusz Standerski, Digital-Staatssekretär in Polen.
Ökonomen wie Mario Draghi machen Europas Rückstand bei Produktivität und Innovation insbesondere an der Schwäche im Technologiesektor fest. Proton-CEO Andy Yen sieht darin ein Risiko für Wachstum, Beschäftigung und künftige Wettbewerbsfähigkeit: „Wenn wir nicht investieren, verzichten wir freiwillig auf das Rückgrat der nächsten Wachstumswelle.“
Im Zentrum der Debatte steht der Cloud-Markt. Die EU erwägt, in ihrer Gesetzgebung „Buy European“-Klauseln zu verankern, um europäische Anbieter gezielt zu fördern. Frankreichs Industrie- und Digitalminister fordern dies explizit für kritische Infrastrukturen. Microsoft, Google und Amazon versuchen mit „Sovereign Cloud“-Angeboten gegenzusteuern, um Datenhoheit in Europa zu gewährleisten. Doch Kritiker wie Max von Thun vom Open Markets Institute sprechen von „Sovereignty Washing“.
Der OVHcloud-Chef begrüßt die Debatte, verweist aber auf fehlende Alternativen: „Lokale Anbieter müssen noch beweisen, dass sie echte Souveränität bieten können.“ Zugleich verweist Revcolevschi auf den langen Atem der EU: „Wenn Europa einmal aufwacht, bewegt sich etwas.“
Trotz aller Bekenntnisse bleibt das Investitionsvolumen ein Knackpunkt. Allein die EuroStack-Initiative veranschlagt bis zu 300 Milliarden Euro für ein europäisches Digital-Ökosystem – andere Studien sprechen von bis zu fünf Billionen Euro. Ohne solche Mittel bleibt Europas digitale Unabhängigkeit ein langfristiges Ziel.